Revolutionär umgarnt

Quelle: https://www.nn.de/nuernberg/wie-einer-frankischen-firma-die-revolution-auf-dem-kleidermarkt-gelingt-1.12206026 

Neue Garne aus Altkleidern

Wie einer fränkischen Firma die Revolution auf dem Kleidermarkt gelingt

Von Claudia Urbasek 5.6.2022, 19:00 Uhr

© Turns, NN Auf dem Weg zu einer Innovation: Lange hatten Angelique Thummerer, Christian Dengler und Katja Wagner gesucht, um einen Recycler zu finden, der Altkleider so schonend reißt, dass die Fasern für Kleidung wiederverwendet werden können. Doch eine Spinnerei zu finden, die daraus neue Garne macht, stellte sich als noch viel schwieriger heraus.

Ansbach - Weil Kleidung zur Massenware verkommt, wachsen die Altkleider-Berge. Bislang war es unmöglich, gemischte Altkleidung zu recyceln. Doch nun hat eine Ansbacher Firma einen Weg gefunden. Die Idee kommt einer Revolution gleich - doch es gibt Hürden.

16 Kleidungsstücke schmeißt laut Verbraucherzentrale jeder Bundesbürger jährlich weg – die Summe sind rund 1,1 Millionen Tonnen Textilien pro Jahr. Bislang beschränkt sich das Recycling von Kleidung, die nicht im Secondhand-Markt landet, oft darauf, zu Putzlappen oder Dämmstoffen verarbeitet zu werden. Doch das soll sich ändern. Das im April 2022 gegründete Unternehmen Turns aus Ansbach will als erste Firma Kleidung herstellen, die aus recycelten Fasern besteht. Welche Rolle dabei Mützen spielen und wie jeder das Projekt unterstützen kann, erklärt Mitgründer Christian Dengler.

Herr Dengler, wenn ich bei Turns einen Schal oder eine Mütze kaufe, kaufe ich nicht nur ein Kleidungsstück, sondern eine Innovation. Wieso?
Die große Neuheit an unserem Projekt ist, aus gemischten Altkleidern neue Kleidung – also die Mützen und Schals –herzustellen. Bisher ist es so, dass es zwar schon Neuware gibt, in der recycelte Fasern enthalten sind. Diese recycelten Fasern sind aber aus Industrial Waste gemacht, das heißt aus sortenreinen Industrieabfällen. Ein Problem besteht schon lange und rückt – vor allem seit Kleidung zu billiger Massenware verkommen ist – häufiger in den Fokus: Das Recyceln von Mischfasern – also zum Beispiel einer Hose, die aus Baumwolle und Polyester besteht – ist bisher nicht serienreif entwickelt.

Sie wollten nicht glauben, dass es unmöglich ist, gemischte Gewebe so zu recyceln, dass darauf neue Kleidung entstehen kann – und gründeten ihre Firma Turns: Katja Wagner, Christian Dengler und Angelique Thummerer (v.l.). © Turns, NN

Die Mützen und Schals bestehen aus recyceltem Garn. Wie gelingt Ihnen, was große Firmen offenbar nicht schaffen?
Die Idee für das Innovationsprojekt hatte meine Mitgründerin Katja Wagner. Sie arbeitet schon seit zehn Jahren im Textilbereich, hatte zuvor schon das Label „Myturns“ gegründet, über das sie vegane, nachhaltige und fair produzierte Sneaker verkauft hat. Inzwischen sind wir zu dritt unter dem Label Turns unterwegs. Als wir Turns im April gründeten, machten wir uns auf die Suche nach Lieferanten für ein Garn aus post consumer waste, also aus gebrauchter Kleidung. Ein fertiges Garn fanden wir nicht und so haben wir nach Partnern gesucht, die ein solches Garn für uns herstellen könnten. In Gronau fanden wir einen Recycler, der erstmals ein Verfahren entwickelt hat, mit dem es durch einen besonders sanften Reißprozess gelingt, Fasern in einer ausreichenden Länge aus den Alttextilien rauszuziehen – aus denen man dann neue reißfeste Garne machen kann. Das ist etwas völlig Neues.

 

Der Reißprozess ist aber erst einer der ersten Schritte, wie geht es weiter?
Dafür mussten wir Deutschland verlassen, weil es hier keine Firma gibt, die die Garne spinnen kann. Aber die Niederlande sind da schon weiter, dort unterstützt die Regierung Forschungsprojekte, die nachhaltige Textilherstellung im Blick haben. Und kurz hinter der Grenze fanden wir eine Spinnerei, die nun aus unseren Fasern neues Garn herstellt. Das wiederum wird in eine bayerische Stickerei gebracht, die daraus die Mützen und Schals strickt. Von dort werden die Stücke dann klimaneutral zum Kunden geschickt. Der gesamte Prozess von der Sammlung der Altkleider – die wir in den vergangenen Wochen in bayerischen Innenstädten durchgeführt haben – bis zur Produktion findet in einem Radius von 550 Kilometern rund um Ansbach statt.

 

Zwei Mitbegründer von Turns, Angelique Thummerer und Sie, studieren noch, Ihr Unternehmen ist noch ganz jung. Wie bezahlen Sie die Herstellung der Mützen und Schals?
Natürlich spielt der finanzielle Aspekt eine Rolle. Deswegen sind die Mützen und Schals die Basis eines Crowdfunding-Projekts. Man bestellt quasi jetzt einen Schal oder eine Mütze und bezahlt sie. Bekommen wir darüber – und natürlich auch über Geldspenden – bis zum 12. Juni genug Geld zusammen, können wir in die Produktion einer ersten Charge gehen. Und wir werden das Ganze wissenschaftlich begleiten – wir wollen sehen, wo man im Produktionsprozess noch etwas verbessern oder verändern kann. Die Mützen und Schals sollen erst der Anfang sein, wir wollen echte Kreislaufwirtschaft erreichen. Langfristig sollen Shirts, Pullover und Webware dazukommen. Ziel ist es, in Deutschland zu produzieren, auch um die Emissionen zu reduzieren.

 

Gab es mal Überlegungen, einen etablierten Hersteller mit ins Boot zu holen, um das Ganze zu finanzieren?
Ja, die gab es natürlich, was wir vorhaben ist ja eine ökonomische Herausforderung. Aber Partner wollen auch Mitspracherecht – und das schränkt unsere Freiheit wiederum ein. Uns geht es in erster Linie nicht ums Geld, sondern um Zukunftsfähigkeit. Ich will das Wort Nachhaltigkeit gar nicht so gern verwenden, weil es schon so abgenutzt ist, aber in dem Fall ist es angebracht: Wir wollen nachhaltig etwas verändern in der Textilwirtschaft, weil es Unmengen an Müllbergen aus gebrauchter Kleidung gibt.

Große Hersteller sagen oft, sie würden ja gerne mehr recycelte Fasern verwenden, aber es sei ja quasi unmöglich, Altkleider, die aus Mischgeweben bestehen, für die Neuherstellung von Garnen zu recyceln. Aber Turns macht ja nun genau das. Warum sind die großen Player der Branche nicht den gleichen Weg gegangen?
Zum einen muss man sagen, dass da die niederländische Regierung einfach richtig Geld in die Hand genommen hat, um die Forschung im Bereich Garnherstellung aus recycelten Fasern voranzutreiben – was wirklich die entscheidende Stelle in dem Prozess ist. Andererseits: Blickt man auf die Unternehmen, geht es ebenfalls wieder um Geld. In vielen Fällen – wie beispielsweise bei der Rücknahme von getragener Kleidung durch namhafte Ketten – geht es eher um Greenwashing. Man verpasst sich ein umweltbewusstes Image, aber das Ganze ist nicht zu Ende gedacht, weil es eben bei dem Kleider einsammeln bleibt. Wir wissen, dass sich bekannte Mode- und Sportartikelhersteller diese Garnproduktion aus Altfasern angesehen haben. Aber es ist nicht so rentabel, es ist immer noch billiger, Ware aus neuen Rohstoffen herzustellen. Und das Bewusstsein für verantwortungsvoll produzierte Kleidung ist beim Kunden noch nicht groß genug. Deswegen besteht kein Druck, etwas zu verändern. Erst wenn die Nachfrage nach nachhaltiger Kleidung steigt, passt sich der Markt an.

Große Modeketten nehmen seit einigen Jahren gebrauchte Kleidung zurück. Doch haben zum Beispiel Recherchen der „Zeit“ gezeigt, dass diese Altkleider oft weder karitativen Zwecken zugute kommen noch eine sinnvolle Wiederverwertung erfahren. Muss es Verbrauchern einfach noch häufiger klar gemacht werden, dass das nur grünes Marketing statt echter Nachhaltigkeit ist?
Ja, auf jeden Fall. Es ist vielen nicht bewusst, dass die Textilindustrie der zweitgrößte Umweltverschmutzer weltweit ist, davor kommt nur noch die Ölindustrie. Färbemittel, Wasser und Ressourcen werden für Unmengen an Kleidung verbraucht. Und Kenner der Textilbranche gehen davon aus, dass 20 Prozent der neu produzierten Ware nicht einmal beim Konsumenten ankommen und stattdessen geschreddert oder verbrannt werden oder auf dem Müll landen. Und das darf – angesichts der dramatischen Umweltsituation, in der wir uns befinden – nicht mehr sein.

Wer die Crowdfunding-Aktion „(Re)made in Germany“ der Ansbacher Firma Turns – die noch bis 12. Juni läuft – mit einem Kauf oder einer Spende unterstützen will, findet alle Informationen dazu im Internet unter www.turns.de

 

Was passiert mit meinen aussortierten Klamotten? -Wissenwertes über den Altkleider-Markt:

- Rund 1,1 Millionen Tonnen Textilien sortieren die Bundesbürger pro Jahr aus, hat die Verbraucherzentrale ermittelt. Drei Viertel davon gelangen in die Altkleidersammlung, der Rest landet im Müll.

- Fünf bis zehn Prozent der gesammelten Textilien gelangen in Deutschlands Kleiderkammern oder Secondhandläden. Nicht direkt vor Ort nutzbare Textilien werden verkauft. Recyclingfirmen erwerben unsortierte Altkleider, sortieren diese und verkaufen sie weiter an Exportfirmen.

- Circa 40 Prozent der gesammelten Textilien werden als Handelsware in osteuropäische und afrikanische Länder exportiert und dort an die Bevölkerung verkauft. Circa 70 Prozent der Weltbevölkerung tragen Altkleider.

- Circa 50 Prozent der Textilien gehen ins Recycling. Aus den recycelten Fasern werden z.B. Filz, Putzlappen und Dämmstoffe hergestellt. Bis zu zehn Prozent werden verbrannt.